Vor Brasilien

Wir haben es fast geschafft. In diesem Moment dreht die Paranagua Express westwärts, umfährt das Cabo Frio und morgen werden wir in Rio anlegen. Wir stehen etwas früher auf, um vielleicht noch einen Blick auf den Zuckerhut zu erhaschen. Wir werden nämlich an Rio vorbeidampfen, der Hafen befindet sich westwärts hinter Rio. Um 9 Uhr sollten wir ankommen.
Rund eineinhalb Wochen waren wir jetzt auf dem Atlantik. Rundum nichts als Wasser. Wir sind langsam vom tristen, winterlichen Norden in tropische Gewässer vorgedrungen, sind über den Äquator gedampft und gut im Südsommer angekommen. Dabei haben wir immer 2000 bis 3000 Meter Wasser unter uns gehabt. Der Atlantikboden ist aber gerade vor Südamerika recht unregelmässig und so gab es auch eine Stelle, wo wir gerade mal noch 45 Meter Wasser unter dem Kiel hatten. 45 Meter nach unten, tausende von Metern vom Festland entfernt.
Die letzten Stunden haben wir den Offshore-Bereich von Brasilien durchfahren, wo eifrig Öl abgebaut wird. Wir sind an stählernen Kolossen von Bohrtürmen vorbeigezogen und haben manchen Tanker erblickt – natürlich immer alles aus relativ grossem Sicherheitsabstand.
Auf der Fahrt waren wir auf uns allein gestellt. Hatte es im Ärmelkanal noch Dutzende von Schiffen um uns herum, haben wir auf dem Atlantik selbst nur noch ganz wenige Schiffe angetroffen. Man bekommt auf dem Wasser ein Gefühl von Freiheit, von Unberührtheit. Aber auch etwas Angst, denn wenn was passiert, dann hilft da so schnell niemand. Und auch etwas Einsamkeit – das haben wir auch der Mannschaft angemerkt. Die Gespräch wurden (noch) karger, am Abend haben sich (fast) alle auf ihre Kammern zurückgezogen. Ausnahme: In der Offiziersmesse gibt es eine Bar und da haben sich abends immer der Kapitän, der erste Offi und der 2. Mechaniker getroffen. Wir haben uns ab und zu dazu gesellt. Wir haben dabei viele Geschichten gehört, fanden es aber auch einfach spannend, wenn die drei ihren Tag an Bord Revue passieren liessen.
Oft kam dabei auch die Sehnsucht nach zuhause, nach der Familie, der Frau, den Kindern hervor. Gleichzeitig aber auch die Freude darüber, hier auf See zu sein. Da liess sich oft eine Zerrissenheit spüren. Viele Seeleute ertränken ihre Gefühle im Alkohol – schon immer ein grosses Problem in der Seefahrt. Auch das Rauchen bringt bei Seeleuten typische Folgen mit sich. Dazu natürlich das Risiko, sich auf Deck oder im Maschinenraum zu verletzen. Verbrennungen, Stürze oder Schläge durch herabfallende Teile gehören zu typischen Krankheitsbildern. Oft auch Treppenstürze – die engen und steilen Metalltreppen sind gefährlich, wenn sie nass und glitschig sind. In den letzten Jahren hat sich ein weiteres Krankheitsbild zu den genannten hinzugefügt: Hautkrebs. Die Strahlenbelastung durch die Sonne und die starke Reflexion auf dem Wasser fordern Tribut. Nicht ganz ungefährlich auch die Bordelektronik – über den Köpfen der Offiziere auf der Brücke dreht beständig ein hochenergetisches Radar. Die Strahlenbelastung ist hoch.
Insgesamt also ein hartes Business, die Seefahrt. Von der Romantik bleibt da wenig übrig. Und doch: die vielen – oft sehr lustigen – Geschichten, die wir an der Bar hören, machen aus der Seefahrt doch eine einzigartige, spannende und unterhaltsame Sache.

Bordunterhaltung

Viele Menschen machen ja eine Kreuzfahrt, um auf See eigentlich genau das gleiche Angebot zu haben wie an Land. Kino, Fitnessraum, Shows, Casino und natürlich 5x täglich Buffet all inclusive. Der Clou dabei ist aber: in der Nacht fährt man immer ein Stück und am nächsten Tag ist man nach dem Morgenbuffet bereits wieder an einem anderen Ort.
Unsere Kreuzfahrt ist in all diesen Dingen gleich – und doch völlig anders. Auch wir sind jeden morgen an einem anderen Ort. Freilich merken wir davon nichts, weil all unsere Orte momentan gleich aussehen. Wasser, Wasser, Wasser. Sieht immer gleich aus – und doch immer wieder anders. Und genau da liegt die Faszination. Mal ist das Wasser köngisblau, mal schimmert es grün. Mal ist es ruhig, mal kräuseln sich die Wellen. Der
Himmel spiegelt sich in immer anderen Farben. Mal hat es Wolken, mal wieder nicht. Die Sonnenuntergänge und Sonnenaufgänge. Der Sternenhimmel, der Vollmond. Das bekommen wir hautnah mit. Und zwar von jedem Ort auf dem Schiff aus. Von der Brücke, vom Bug, übers Heck gebäugt oder einfach nur auf unserem Balkon im 7. Stock.
Ab und zu gibts ja dann aber doch einen Hafen und da können wir dann auch einen Landausflug buchen. Wir zwängen uns dann nicht mit 2000 anderen Gästen in die Busse, sondern höchstens mit ein paar Matrosen in den Volvo des Seemanns-Pastors. Und dann erkunden wir den Ort auf unsere eigene Faust.
Kino? Geschenkt. Denn wenn es uns neben dem ständigen Naturfilm, der vor unserer Kabine abläuft doch mal nach einem Film gelüstet, dann haben wir die volle Auswahl auf unserem DVD-Player.
Fitnessraum? Brauchen wir nicht, hätten wir aber. Ein Laufband, ein Crosstrainer, diverse Hanteln, ein Swimmingpool und eine Sauna. Naja, das SPA-Ambiente fehlt etwas, aber zum Schwitzen würde es reichen. Brauchen wir aber eben nicht, denn wir können ja ums Schiff herum spazieren (immerhin ein halber Kilometer ganz herum). Und wir wohnen im 7. Stock und benutzen nie den Lift. Das genügt :-)
Shows? Haben wir, die Mannschaft gibt sich tagtäglich grösste Mühe, uns mit Seemannsgeschichten zu unterhalten. Gestern aben war Karaoke-Abend mit den Philippinos, da bleibt kein Auge trocken (zum Lachen, zum Heulen, oder manchmal auch echt ergreifend)
Casino? Paola spielt gerade mit den beiden Azubis und dem 3. Offi (das ist Slang für Offizier :-) Doppelkopf. Ich nicht, das ist wieder eines dieser Kartenspiele, die mich völlig überfordern. Wie Jassen halt.
Bleibt noch das Buffet. Das hab ich gestern ja schon beschrieben. Gute, solide Hausmannskost. Mit einigen Highlights: gestern beispielsweise gab es Barbeque auf dem E-Deck. Da steht man dann also am Grill und lässt den Blick über den Atlantik in den Sonnenuntergang schweifen. Wer hat das schon.
Ein weiteres kulinarisches Highlight bahnt sich an. Nachdem ich letzthin beim Abendessen bemerkte, dass es fast nie Pasta gibt und Paola irgendwie beim Thema „Tomatensauce“ hängenblieb, könnt ihr euch vorstellen, wer nächste Woche für die ganze Mannschaft Lasagne kocht? to be continued…

Blick in die Küche

Letzte Nacht haben wir den Äquator überquert. Hat ein bisschen gerumpelt, als wir drüber fuhren, aber sonst haben wir nicht viel gemerkt ;-) Sprechen wir doch mal über das wichtigste Thema bei einer Seefahrt: die Verpflegung. Die ist ja für den modernen Seefahrer nicht ganz unwichtig, denn gutes Essen hebt die Stimmung.
Auf unserer Fahrt haben wir einen philippinischen Koch, der sein Handwerk ganz gut beherrscht. Das Essen ist durchaus gut und auch durchaus abwechslungsreich. Es gibt sehr viel Fleisch – durchaus auch zum Zmorge. Aber es hat auch immer Salat, Früchte, eigentlich immer Gemüse. Insofern ist der Speiseplan ganz ausgewogen. Manchmal ist er ein wenig überraschend, zum Beispiel wenn Frühlingsrollen zusammen mit Ravioli aus der Dose gereicht werden. Bei den typisch deutschen Gerichten kommt der Koch manchmal etwas ins Schleudern, bei den asiatischen ist er hingegen top.
Natürlich gibts wie überall auf dem Schiff auch beim Essen einige Rituale. Sonntags gibts zum Beispiel immer Steak. Immer. Am Samstagmorgen gibts zum Frühstück Beef Tartare oder – wer das rohe Fleisch nicht mag – Frikadelle. Samstagmittag ist dann Suppentag. Freitag gibts natürlich Fisch. Donnerstags und sonntags gibts Dessert – meist Glacé. Am Sonntag, weil es Sonntag ist, am Donnerstag, weil es dann auf See auch eine Art Sonntag ist. Morgens kann man denn donnerstags und sonntags auch immer wählen, wie man sein Ei zubereitet möchte: gebraten, gekocht, als Pancake, als Omelette oder wie auch immer.
Was es immer hat: Brot, Käse, Wurst, zum Znacht auch immer diverse Frischkäse, Fleischpasteten, Heringssalat und ähnliches. Auf dem Tisch steht zudem immer eine ganze Armee von Döschen und Fläschchen mit Saucen, Gewürzen, Ketchup, Würze, und so weiter.
Gegessen wird dreimal täglich, ebenfalls ein fixes Ritual. Die Mannschaft in einem Raum, die Offiziere in einem anderen. Wir Passagiere haben die Ehre, immer am Tisch des Kapitäns zu sitzen. Jeden Tag also Captains Dinner. „Der Alte“ gibt die Sitzordung vor, die Offiziere und höheren Techniker haben am Tisch ihren festen Platz, je nach Rang.
Die Hamburg Süd gehört übrigens Dr. Oetker. Das ist jener mit dem Backpulver und den Fertigmischungen. Der hat sich als Hobby irgendwan mal eine Flotte von Frachtschiffen zugelegt. Hat auch noch ein paar andere Hobbies, wie man hört. Wir wissen aber somit relativ genau, woher die Puddings kommen, die immer am Samstag gereicht werden…

Containerfracht

Wir haben wieder einige Dinge über unser Schiff gelernt. Einige (beeindruckende) Zahlen gefällig? Ohne jegliche Fracht wiegt unser Dampfer flotte 29600 Tonnen. Wenn man es voll beladen würde, käme man auf maximal 123000 Tonnen. Da kann man also einiges an Fracht aufladen. Wobei zur Fracht dann eben auch noch Treibstoff im Wert von rund 2 Mio Dollar hinzukommt, der macht auch noch ein paar tausend Tonnen aus. In den Containern wird eigentlich fast alles transportiert, was sich irgendwie in einen solchen Container packen lässt. Die normalen Trockencontainer enthalten Stoffe, Elektronik, haltbare Lebensmittel, Industrieteile, Autos und so weiter. Kostenmässig sind diese Container am günstigsten zu transportieren, da sie an Bord keine spezielle Aufmerksamkeit brauchen. Etwas teurer sind Flüssigcontainer, bzw. -tanks. Nicht, weil sie mehr Aufmerksamkeit brauchen, sondern ganz einfach deshalb, weil da oft gefährliche Stoffe drin sind. Säuren, entbrennbare Flüssigkeiten, Gase…
Richtig teuer im Transport sind Kühlcontainer. Die Hamburg Süd – unsere Reederei – hat sich auf ebendiese Kühlcontainer spezialisiert. Unser Schiff kann bis zu 1600 solcher Container aufnehmen. Die Kühlcontainer sind deshalb aufwendig im Transport, weil sie eben massig Strom verbrauchen und entsprechend auch verkabelt werden müssen. Dazu produzieren sie Unmengen an Wärme. Da müssen die Schiffe speziell konstruiert sein, damit es im Laderaum keinen Hitzestau gibt. Mit Kühlcontainern verdient die Reederei gutes Geld. Noch besser lässt sich aber mit Gefahrengut verdienen. Da werden teils recht heikle Stoffe transportiert, oft auch radioaktive Stoffe. Statistisch eignet sich das Schiff offenbar dafür, denn es geschehen da grundsätzlich wenig Unfälle. Aber eben: die Reederei lässt sich das Risiko gut bezahlen.
Und dann gibt es noch einige Transportperlen: Zum Beispiel der Transport von seltenen Erzen. Da ist dann ganz einfach das Transportgut dermassen teuer, dass man auch den Transport berappen muss. Der Kapitän hat uns erzählt, dass er mal drei Containern mit seltenem Kobalt an Bord hatte. Mit diesen drei Containern war die ganze Fahrt bereits bezahlt. Die restlichen siebentausend Container waren reiner Gewinn für die Reederei. Ein gutes Geschäft, vor allem, solange der Treibstoff billig war. Inzwischen kostet eine Tonne Schweröl um die 600 Dollar, da muss das Schiff gut gefüllt sein, damit es sich lohnt. Unser Schiff ist momentan halb leer – schwierige Zeiten für die Reederei.
Auf dem Schiff haben die Container ihre festen Plätze. Die
Gefahrengutcontainer müssen vorne am Bug gelagert sein, da gibt es spezielle Sicherheitsinfrastruktur auf dem Schiff. Löschsysteme, Sicherheitstanks, die austretende Flüssigkeiten auffangen etc. Die Kühlcontainer müssen auch an speziellen Orten stehen, da sie elektrische Anschlüsse brauchen. Der Rest wird auf dem Schiff so verteilt, dass es möglichst gut im Wasser liegt.
Problematisch ist für die Reederei übrigens, dass es auf den meisten Fahrten auch immer wieder Container gibt, die falsch deklariert werden. Da weiss man dann nicht so genau, was drin ist. Das ist einerseits gefährlich, wenn was passiert. Und andererseits ist es vom Gewicht her problematisch, da solche Container dann oft schwerer sind als gemeldet. Es hat schon Fälle gegeben, wo Schiffe wieder entladen werden mussten, weil sich da an einer bestimmten Stelle ungewöhnlich viel Gewicht konzentriert hat und das Schiff nicht mehr stabil im Wasser lag. Alles nur deshalb, weil ein Schwung Container von einem Transporteur fast doppelt so schwer war wie deklariert. Kommt sowas raus, wirds dann für den Transporteur richtig, richtig teuer!

Breitengrade

Eine der ganz grossen Fragen, die wir uns vor der Reise stellten war: Wie bekommen wir auf der Fahrt den Wechsel des Klimas und der geografischen Breiten mit?
Wir fahren ja seit Le Havre ziemlich genau gen Süd-Südwesten. Wir sind an Madeira vorbeigezogen und jetzt befinden wir uns gerade auf Höhe der Kapverden. Da merkt man nun tatsächlich täglich, dass sich was ändert. Klimatisch wird es nach und nach tropisch. In Europas Norden war es ziemlich stürmisch, kalt und grau. Muss diesen Januar ziemlich krass gewesen sein – in Le Havre hatten Sie seit Beginn des Jahres fast jeden Tag Sturmwarnung. In der Biskaya war es dann wohl trocken, aber immer noch recht grau. Das Meer war zudem ziemlich aufgewühlt, weil da im Norden ein Tiefdruckgebiet hockte. Nun kommen wir langsam in tropische Bereiche. Es ist warm, das Meer ist ruhig, aber es ist feucht und sehr dunstig. Den Temperaturanstieg in der Luft hat man täglich zu spüren bekommen. Die Klimaanlage kühlt inzwischen, in Hamburg hat sie noch gut geheizt. Auch die Wassertemperatur steigt. Gestern konnte erstmals der Swimmingpool in Betrieb genommen werden, das reingepumpte Meerwasser hatte gute 20°. In Hamburg wär das mit rund 5° ein eher frisches Badevergnügen gewesen. In den nächsten Tagen wir es noch wärmer, sowohl in der Luft wie auch im Wasser. Und sobald wir über den Äquator gerumpelt sind, geht’s dann wieder ein wenig rückwärts.
Nachts lässt sich auch der Sternenhimmel verfolgen. Naja, bis vor ein paar Tagen war da noch nix zu sehen ausser grauen Wolken. Die letzten 3 Nächte waren aber so klar, dass man auf der Brücke sein privates Planetarium starten konnte. Zum einen hat man einen ersten Offizier, der recht gut Bescheid weiss, zum anderen kommt jetzt endlich auch mal diese iPhone-App zum Einsatz, die ich seit Jahren mit mir mittrage. Da erfährt man viel über den Sternenhimmel und kann gut nachvollziehen, wie sich die Position der Sterne ändert. Momentan steuern wir auf Vollmond zu, auch das ein Erlebnis auf hoher See.
Insofern: ja, wir spüren den Breitenwechsel täglich. Es ist eine schöne Art zu reisen. Es ist genau diese Langsamkeit und dieses Miterleben, welches im vollklimatisierten, druckausgeglichenen Flugzeug völlig Flöten geht.