20 Jahre danach

Während meinem Studium sass ich eines Nachmittags im dunklen Hörsaal. Auf dem Programm stand Glaziologie. Die Gletscher der Welt. Da sah ich ihn zum ersten Mal: den Perito Moreno. Jenen riesigen Gletscher in Argentinien, der direkt in den Lago Argentino mündet. Eine Gletscherzunge von rund 5 Kilometern Breite und rund 60 Metern Höhe. Die Zunge stösst auf die gegenüberliegende Halbinsel, auf der wir jetzt stehen. Hier zeigt sich die Zunge als nahezu senkrechte Eiswand, von der immer wieder Eisbrocken abbrechen. Damals sah ich das auf einem Dia. Und ich wusste: irgendwann werde ich mir das in echt anschauen.
Heute war es soweit. Der Gletscher lag in seiner ganzen Schönheit vor mir. Unbeschreiblich. Von der gegenüberliegenden Halbinsel kann man auf einige Hundert Meter Distanz auf die Eiswand blicken. Und zusehen, wie die Eisblöcke ins Wasser donnern.
Natürlich warten alle mit gezücktem Fotoapparat auf den einen Moment. Jeder will einen Eisabbruch sehen und wenn möglich fotografieren. So auch wir. Und wir hatten Glück. Nach mehreren Abbrüchen, bei denen wir immer irgendwie falsch standen oder in die falsche Richtung guckten, fanden wir einen Ort, wo es gebenüber immer wieder rieselte und knackste. Wir waren uns sicher: da kommt was. Also Kamera und iPhone parat und warten. Irgendwann wird es kalt. Paola muss Handschuhe anziehen. Wir bereiten uns gerade auf Wachablösung vor. Da passiert es: genau da, wo wir es dachten, rutscht ein haushoher Block runter. Paola kann grad noch draufhalten. Das iPhone macht Dauerfeuer: 440 Fotos. Wow!
Inzwischen ist es wirklich kalt, ausserdem drückt die Blase. Glückselig packen wir zusammen und machen uns auf den Rückweg durch die Bäume. 5 Minuten später rumpelt es. Es kracht, es donnert. Hinter den Baumwipfeln spritzen Eismocken umher. Wir verpassen, wie genau am gleichen Ort nochmals ein Block runtergeht, dieses Mal wäre es ein Wolkenkratzer. So nahe liegen Glück und Pech beeinander.
Wobei: wirkliches Pech kann man das ja dann doch nicht nennen. Letztlich ist es ja Nebensache, wie gross die Blöcke sind. Viel wichtiger ist es, dieses Naturschauspiel mal erlebt, gesehen, gehört zu haben. Nicht im Hörsaal, sondern live, direkt vor dem Gletscher.
Ach ja: wir sind nach der Aufwärmpause dann nochmals an den Ort des Geschehens zurück und haben bis zum Eindunkeln weitergestaunt. Am Schluss waren nur noch wir und ein Japaner da. Wir kamen ins Gespräch. Ikuo ist 3D-Künstler, hat den ganzen Abbruch als 3D-Film aufgenommen und uns schon mal seine Mail-Adresse gegeben ;-)

Ein Fleischtraum

Da braucht es nicht viele Worte. Ein halbes Kilo Rind, perfekt gebraten. Traumhaft. Genug für zwei.

Ach du heiliger Franziskus

Die Argentinier sind natürlich stolz auf „ihren“ Papst. Oft trifft man sein Gesicht in Hotels, Läden oder auch auf Plakaten an. Meist gibt man ihm einen würdigen Platz an der Wand.
Gestern kamen wir in einem dieser Kioske vorbei, wo es alles zu kaufen gibt, was der reisende Argentinier braucht: Getränke, Snacks, WC-Papier, Termoskrüge, Mate-Tee und natürlich Alkohol. Das populäre Bier „Quilmes“ gibt es in praktischen Literflaschen und argentinischer Wein ist allenthalben zu haben.
Meist sind diese Kioske klein, eng und vollgestopft, wobei man wahrscheinlich nur die Hälfte des Sortiments wirklich sieht. Wahrscheinlich findet man in Schubladen und Schränken auch noch Dinge wie Vogelhäuschen, Kochpfannen und Pferdesättel. Man muss nur fragen.
Gefallen hat uns dieser Laden, in dem Papst Franziskus seinen „würdigen“ Platz inmitten von Hochgeistigem gefunden hat.

Südwärts

Nach unserem Trip in die Laguna San Rafael sind wir donnerstags für einen weiteren Tag in Rio Tranquilo geblieben. Am Freitag ging es dann weiter nach Chile Chico nahe der argentinischen Grenze. Die holprige Piste führte rund um den Lago General Carrera. Die Ausblicke auf den See waren immer wieder beeindruckend. Das Wasser leuchtete in allen erdenklichen Blautönen, am Himmel jagten graue und weisse Wolken vorbei und am Horizont blickten wir auf schneeweisse Gletscher.
Die Fahrt machten wir nicht allein. Vor ein paar Tagen hatten wir Hitchhiker mitgenommen, zwei Deutsche, mit denen wir uns gut verstanden. Jona, der eine von ihnen, war inzwischen ebenfalls in Rio Tranquilo angekommen, bzw. gestrandet. Er war froh, dass wir uns wieder trafen und er mit uns weiterfahren konnte. Er ist mit einer losen Clique unterwegs und so lernten wir auch noch Siv, eine Amerikanerin, und Nik, einen Australier kennen. Zu fünft holperten wir also am Freitag um den See und verstanden uns blendend.
Abends landeten wir in Chile Choco, fanden ein Hostel mit Campingplatz und so gab es noch ein gemeinsames Abendessen. Inzwischen war auch Tanja noch zu uns gestossen, die wir damals mit Jona mitgenommen hatten.
Der Samstagmorgen begann dann noch mit einem schönen Frühstück zu sechst, bevor wir wieder allein weiterfuhren. Wir wechselten wieder nach Argentinien. In den letzten Tagen haben wir etwas gebummelt und nun mussten wir mal einen Rutsch südwärts. Also gaben wir unserem Toyota die Sporen und frassen Kilometer. Einen kleinen Halt gab es – die 8000 Jahre alten Wandmalereien der Cueva de los manos liessen wir uns nicht entgehen.
Auch heute fuhren wir nochmals den ganzen Tag – insgesamt haben wir seit gestern morgen rund 700 km hingelegt. Über Asphalt und Piste, mal mit 120, mal mit 20 km/h. Durch Sonne, durch Regen, durch peitschenden Wind. Die Steppenlandschaft auf den ersten Blick öde, für uns aber doch immer spannend und abwechslungsreich.
Heute Nachmittag kam dann unser Ziel in Sicht – der Fitz Roy – quasi das Matterhorn Patagoniens. Rund um dieses Gebirgsmassiv werden wir nun die nächsten Tage bleiben. Diese Gegend ist das eigentliche Epizentrum von Patagonien. Und wenn wir bis jetzt auch schon ganz viele Höhepunkte erlebt haben, dann werden hier wohl noch einige weitere Patagonienträume wahr.

Masseneiswanderung*

Heute haben wir die Masseneiswanderung mit eigenen Augen gesehen. Da liegt er, der Gletscher. Inmitten idyllischer Berge, dick und fett. Mächtig, reich an weissem, blitzsauberem Eis. Doch weil aus südöstlicher Richtung zuviel Eis zu schnell zum Gletscher strömt, baut sich im öffentlichen Raum der Gletscherzunge grosser Druck auf. Wird der Dichtestress zu gross, trennt sich der Gletscher ab und zu von einer Ladung Eis und schiebt ein Kontingent ums andere ins Meer ab.
Diesen Vorgang konnten wir heute aus nächster Nähe beobachten. Unser Ausflug in die Laguna San Rafael startete bei bestem Wetter in Puerto Tranquillo. Zuerst ging es im 4×4 zwei Stunden dem Rio Exploradores entlang. Mangels Brücke setzten wir mit dem Boot über den Fluss und zuckelten mit dem Büssli nochmals 10 km weiter. Dann hiess es Schwimmwesten anziehen und in ein kleines Schiff – Typ lottriges Hausboot – umsteigen. Zuerst dümpelten wir eine halbe Stunde den Fluss runter. Dann legte der Kapitän den Hebel um, der Bug stellte sich in den Wind und von da an gings mit Vollschnaps über die Lagune.
2 Stunden später sind wir da. Direkt vor einer grossen weissen Eiswand. Der Fahrer stellt den Motor ab – es herrscht Ruhe. Im Eis knirscht und knackt es. Um uns herum treiben Eisschollen. Das Eis schmilzt, man hört es. Es ploppt. Als ob man diese Plastikfolie zerdrückt, die man zum Verpacken braucht. Ein paar Seevögel kreischen.
Da plötzlich, ein dumpfer Knall, eine Wasserfontäne. Immer wieder brechen kleine und grosse Eisbrocken ab und fallen mit Getöse ins Wasser. Die grossen Blöcke fallen in Zeitlupe herunter, tauchen kurz unter und treiben dann majestätisch vom Gletscher weg.
Rund eine Stunde verbringen wir vor dem Gletscher. Hören zu, wie er schmilzt. Noch vor 20 Jahren ragte seine Zunge weit in die Lagune hinaus. Jetzt zieht er sich zurück. In 30 Jahren wird er nicht mehr da sein. Einfach verschwunden. Von der Hitze der globalisierten Welt dahingeschmolzen.
Der Kapitän startet den Motor und wir treiben zusammen mit einigen abgestossenen Eisschollen weg vom grossen behäbigen Gletscher. Zurück ins Basislager.

  • Danke, Koni, für den Titel ;-)