Schraubenschlüssel im Parliament

Wir waren diese Woche zweimal im Palace of Westminster zu Besuch. Zweimal mit dem Gefühl, in eine etwas angestaubte aber durchaus funktionale Demokratie hineinzublicken.

Unseren ersten Besuch machten wir am Mittwoch. Eigentlich hätten wir ja der Fragestunde des Premierministers beiwohnen wollen, aber das haben wir zeitlich nicht geschafft. Am späteren Nachmittag standen wir dann aber vor dem Eingang und liessen die Sicherheitskontrolle über uns ergehen. In London kann jedermann zu bestimmten Zeiten den Beratungen des Parlaments beiwohnen. Im House of Commons, dem Politiker-Unterhaus gibt es einen Zuschauerbalkon. Seit einigen Jahren hinter Sicherheitsglas, nachdem ab und zu Politiker bei ihrer Arbeit mit irgendwelchen Gegenständen von den Zuschauerreihen beworfen wurden. Im Oberhaus, dem House of Lords gibts keine Glasscheibe. Da sitzt man einfach im oberen Balkon und somit mitten im behaglichen Parlamentarier-Raum.

Item: wir stehen also erst mal an der Sicherheitsschleuse, wo wir begreiflicherweise ähnlich streng kontrolliert werden wie auf einem Flughafen. Bei uns ist die Kontrolle recht schnell geschehen, bei der Gruppe vor uns tauchen ein paar Fragen auf. Die Jungs tragen aus welchen Gründen auch immer ganze Werkzeugkästen auf sich. Schraubenschlüssel, Zangen, Messer. Ein ganzes Arsenal, welches sämtliche roten Lämpchen beim Check zum Glühen bringen. Die Sicherheitsleute nehmens mit Humor und bleiben britisch-freundlich. Wir gehen weiter.

Wir tauchen ein in die Welt des britischen Parlaments. Dicke, abgenutzte Teppiche. Viele Statuen, Bilder. Messing. Alles mit viel Patina. Wir gehen durch die Gänge und werden vom freundlichen Personal zu den Besuchertribünen geführt. Wir schauen zu, wie im House of Commons über den kürzlichen Hochhausbrand debatiert wird. Naja – einer spricht, die anderen „hören“ zu.

Im House of Lords ist die Atmosphäre noch etwas schläfriger. Ist ja auch schwierig, in diesen cosy Lederbänken nicht einzuschlafen. Es geht um Brexit und das Thema scheint nicht unbedingt wach zu halten. Die Atmosphäre in beiden Sälen ist gedämpft, etwas schummrig, getragen, etwas altbacken, ruhig. Man spürt: hier wird Demokratie und Politik ernst genommen. Hier wird gut und lange abgewägt und lieber etwas länger mit einem Entscheid gewartet. Agil ist anders.

Dieser Eindruck bestätigt sich am Samstag. Die Parlamentarierer beider Kammern haben Wochenende, also kann man auf geführten Touren nicht nur auf die Zuschauertribüne sondern runter in die Kammern. Wohlgemerkt: hinsetzen darf man sich dann auf der Führung nicht. Die bequemen Polster stehen einzig den Lords, den Ladies und den Politikern zur Verfügung. Auf der Führung erfahren wir dann viele kleine charmante Details zum Parlamentsbetrieb. Und zum Verhältnis zwischen Königshaus und Parlament. So entspannt wie heute war das nämlich nicht immer. Bis heute darf die Queen das House of Commons nicht betreten. Die Politiker hatten irgendwann mal mit einem König sehr schlechte Erfahrungen gemacht, der einige der Ihren abholte und wahrscheinlich köpfen liess.

Überhaupt: es wurde viel geköpft in der britischen Politik. Parlamentarier, die nicht genehm waren. Königsfrauen, die untreu waren. Angestellte, die die Untreue der Königsfrauen ans Licht gebracht haben („gepetzt wird nicht“). Königsfrauen, die nicht untreu waren, aber sonst igendwie verschwinden mussten. You name it.

Und nochmals die Queen: diese ist normalerweise nur einmal im Jahr im Parlamentsgebäude, nämlich zu ihrer Rede bei der Parlamentseröffnung. Selbstverständlich kann sie diesen wichtigen Anlass nicht im Deux-Piece absolvieren, also steht ihr ein Ankleidezimmer in der Grösse eines Rittersaals zur Verfügung. Nach der Ankleide paradiert sie durch die Menge geladenere Gäste ins House of Lords, hält da die Rede und dampft dann wieder ab. Dieses Jahr war ihre Rede recht kurz, denn um 14.30 begann das Pferderennen in Ascot. Da muss man Prioriäten setzen.

1 Kommentar
  1. Marianne Sigg
    Marianne Sigg sagte:

    Ganz toll deine Beiträge aus London, spannend und unterhaltsam!

    Habe sie in einer der vielen schlaflosen Nächte mit meinen zwei Süssen alle am Stück gelesen

    Antworten

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